Laut Homepage der AfD Dithmarschen ist Dennis Schultz der stellvertretende Vorsitzende des dortigen Kreisverbandes. Anscheinend kam es im Kreistag von Dithmarschen aber zu einem Bruch: Herr Schultz und eine weitere Kollegin wurden aus der Fraktion ausgeschlossen. Beide sitzen nun als fraktionslose Abgeordnete im Kreistag. Er fungiert außerdem als parlamentarischer Geschäftsführer der Kreistagsfraktion in Rendsburg-Eckernförde.
Herr Schultz hielt bei der Europawahlversammlung der AfD in Madgeburg am 04.08.2023 eine Rede, die schwer erträglich ist. Der Herr denkt in konstruierten Kollektiven. Er bastelt sich ein „Wir“, dem nur die Menschen zugehörig sind, die in sein Weltbild passen. Dieses „Wir“ hat einen strikt ausschließenden Charakter. Dem gegenüber stehen die „Anderen“, denen er nicht zubilligt, diesem „Wir“ angehören zu können. Es handelt sich ein um billiges Denken in Freund-Feind-Kategorien. Alles nicht neu und nichts Ungewöhnliches in der extremen Rechten.
Seine Rede trieft auf der einen Seite von schwülstigen Überhöhungen des „Wir“. Auf der anderen Seite setzt es Pauschalisierungen, Diffamierungen, Beleidigungen und Herabwürdigungen der „Anderen“. Ich möchte aus diesem deutschtümelnden und menschenverachtenden Geschwafel nur einige Zeilen präsentieren, an dem sich rhetorische Muster demonstrieren lassen, die in der AfD geläufig sind:
„Ich fordere nicht nur einen Einwanderungsstopp, sondern eine Umkehr der Einwanderung, Remigration ist das Gebot der Stunde. Das heißt geordnete sichere, aber zügige Rückkehr der sich auf deutschem Boden aufhaltenden illegalen Ausländer. Und solange sie sich hier aufhalten, Unterricht in ihrer Muttersprache, Landeskunde ihres Herkunftslandes und Stärkung ihrer angeborenen Selbstgleichheit bzw. Identität und für die ganz eifrigen und willigen Ausländer die Möglichkeit einen deutschen Gesellenbrief oder ein Diplom zu erwerben.“1
Herr Schultz zündet Nebelkerzen, schmeißt ein Wirrwarr von hohlen Parolen und Forderungen in den Saal, bleibt dabei aber letztlich vage und mehrdeutig. Er sendet einerseits klare Signale an die eigene Klientel und Menschen, die sich bereits entsprechenden Fahrwasser befinden („Umkehr der Einwanderung!“, „Remigration!“), behält sich anderseits gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit ein Hintertürchen offen, um gegen eventuelle Vorwürfe gewappnet zu sein und den schon oft gehörten Satz entgegnen zu können: „Das-habe-ich-so-nicht-gesagt!“.
Versuchen wir, das Ganze aufzudröseln.
Was bedeutet „Remigration“ für Herrn Schultz? Nach eigener Aussage die „Rückkehr der sich auf deutschem Boden aufhaltenden illegalen Ausländer“.
So viel vorweg: Menschen an sich können niemals illegal sein. Die Wortkombination „illegale Ausländer“ ist irreführend und unangebracht. Ziemlich klar ist natürlich, was Herr Schultz in seiner Rede eigentlich zum Ausdruck bringen möchte: Dass nämlich bestimmte Menschen kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hätten, weswegen er sie als „illegal“ bezeichnet.
Doch wer sind diese „illegalen“ Menschen und wie viele davon gibt es?
Um einen Irrtum gleich anfangs aufzuklären: Nicht alle Menschen, die „unerlaubt“, d.h. ohne Visum oder Aufenthaltstitel nach Deutschland eingereist sind, befinden sich in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität. Bei Schutzsuchenden gilt das etwa nur so lange, bis sie einen Asylantrag gestellt haben. Ab diesem Zeitpunkt erhalten diese Menschen für die Dauer des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgestattung und sind nicht mehr irregulär in Deutschland, geschweige denn „illegal“. Alles andere ist sachlich und rechtlich falsch.
Machen wir uns also weiter auf die Suche nach den „illegalen Ausländern“. Meint Herr Schultz die „undokumentierten Migranten“, die mitunter aus dem Französischen als „Sans-papiers“ bezeichnet werden und hier in Deutschland ohne regulären Aufenthaltsstatus leben? Diese Gruppe, über deren Stärke über deren Stärke ohnehin keine gesicherten Informationen vorliegen (ältere Schätzungen gehen von 150.000 – 520.000 Menschen aus), da sie weitgehend unter dem Radar mitlaufen, steht jedoch überhaupt nicht im Brennpunkt der von der AfD befeuerten öffentlichen Migrationsdebatte. Sie erhalten auch keine Sozial- oder andere Leistungen, die ständig Gegenstand der Auseinandersetzung sind.
Nächste Baustelle: Sind für Herrn Schultz etwa die Menschen „illegale Ausländer“, die z.B. nach dem negativen Ausgang eines Asylverfahrens oder weil ihr Visum abgelaufen ist, „ausreisepflichtig“ sind?
Dazu gilt es, sich über einige Punkte und Zahlen klar zu werden:
Selbst von den „ausreisepflichtigen“ Menschen in Deutschland haben über 80 % eine Duldung. Das bedeutet, dass sie zwar aufgefordert wurden, das Land zu verlassen, sie aber aus „tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“ nicht abgeschoben werden können. Sie besitzen also einen Aufenthaltstitel und damit die volle Berechtigung, sich hier zu befinden. In Zahlen gesprochen: Zum Stichtag 30.06.2024 waren in Deutschland 226.882 Menschen ausreisepflichtig, von denen allerdings 182.727 eine Duldung besaßen. Diese Menschen sind keineswegs „illegal“ in unserem Land. Auch diese Erzählung ist wieder sachlich und rechtlich falsch.
Die Zahl der "unmittelbar ausreisepflichtigen" Personen, d.h. die Zahl der Menschen ohne Duldung, ergibt sich aus der Gesamtzahl der Ausreisepflichtigen abzüglich der Geduldeten und belief sich somit zum Stichtag 30.06.2024 auf 44.155. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei bei Weitem nicht nur um Personen aus einem abschlägig beschiedenen Asylverfahren oder ähnliche Formen sogenannter "irregulärer Migration", sondern auch um solche, deren Tourismus-, Arbeits- oder Studentenvisum abgelaufen ist.
Greifen wir doch einmal zum spitzen Bleistift und setzen wir diese Zahlen ins Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in unserem Land. Bei ca. 85 Millionen Menschen insgesamt, stellen die Menschen mit Duldung insgesamt einen Anteil von etwa 0,2 %. Der Anteil der „unmittelbar ausreisepflichtigen“ beläuft sich auf 0,05 % der Gesamtbevölkerung!
Wen immer Herr Schultz mit seinen „illegalen Ausländern“ auch im Visier hat: Man kann angesichts dieser mikroskopischen Zahlen für „unmittelbar ausreisepflichtige“ oder Menschen mit Duldung wohl kaum von einer „Umkehr der Einwanderung“ sprechen, wenn diese das Land verließen. Daher liegt der Schluss nahe, dass Herr Schultz sein Label „illegale Ausländer“ einfach jenen Menschen anhaftet, die er in seinem Weltbild nicht als deutsch liest und gern loswerden möchte.
Nach zahlreichen Statements, die aus der AfD immer wieder in die Welt geblasen werden, beinhaltet ihr Begriff von „Remigration“, dass Millionen von Menschen Deutschland verlassen sollen. Herr Schultz nennt keine Zahlen. Dennoch ist es anhand des von ihm Gesagten nicht abwegig, ihn hier auf der Linie zu vielen seiner Parteikolleginnen und Parteikollegen zu sehen, die einer großen Menge von Menschen, die sich vollkommen nach Recht und Gesetz hier aufhalten, das Aufenthaltsrecht in Deutschland absprechen, und es liegt der Verdacht nahe, dass auch Herr Schultz Menschen in den Blick nimmt, die seit Jahren und Jahrzehnten hier leben, womöglich hier geboren sind und vielleicht sogar die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Entweder das, oder seine Forderungen nach „Remigration“ und „Umkehr von Einwanderung“ haben schlicht und ergreifend keinen Inhalt.
Noch zwei weitere Aspekte in dem kurzen Ausschnitt aus dieser unsäglichen Rede verdienen Beachtung.
Ich bin mir nicht sicher, worauf die Formulierung hinausführen soll, „die ganz eifrigen und willigen Ausländer“ könnten „einen Gesellenbrief oder Diplom erwerben“. Möchte Herr Schultz damit suggerieren, nur eine kleinere Anzahl der Migrantinnen und Migranten sei entweder willens oder in der Lage eine qualifizierte Tätigkeit auszuüben? Man könnte dies als offensichtlichen Unsinn abhaken, dennoch lohnt ein ganz kurzer Blick in die Statistik zu einem einzelnen Aspekt: Dass nämlich der Fachkräftemangel in Deutschland ohne die Aufnahme der Geflüchteten ab 2015 noch gravierender wäre, da ein großer Teil der Menschen, die damals in unser Land gelangten, mittlerweile in Arbeit stehen und wiederum die meisten von diesen als Fachkräfte arbeiten. Vielleicht möchte Herr Schultz uns auch sagen, dass in seiner Vorstellung nur die „ganz eifrigen und willigen“ eine Ausbildung machen dürften? Wie man es auch dreht und wendet, seine Formulierung ist in jeder Deutungsweise nur eines ganz gewiss: nämlich rassistisch.
Die Forderung nach „Unterricht in ihrer Muttersprache, Landeskunde ihres Herkunftslandes“ wirft eine Reihe von Fragen bei mir auf: Wie ist das allein technisch gedacht, da es sich ja nicht um nur eine Muttersprache und Landeskunde handelt, sondern um eine Vielfalt davon. Wie plant Herr Schultz die Finanzierung eines solchen vielsprachigen Schulsystems? Ganz wichtig auch: Möchte Herr Schultz diesen Unterricht als Zusatzangebot wissen oder die von ihm dafür vorgesehenen Kinder in eigenen Klassen oder gar Schulen separieren, also getrennt von jenen ihrer Altersgenossinnen und Altersgenossen unterrichten, denen er den Regelunterricht in deutscher Sprache zubilligt. Wenn dieser Mann tatsächlich eine Art von Apartheidsystem im Bildungssektor im Sinn hat, frage ich mich wirklich, was mit einem Menschen geschehen sein muss, vor dessen Hass auf alles, was anders ist, nicht einmal unschuldige Schulkinder sicher sind. Übrigens erfordert es nicht viel Nachdenken, ein ganz kleines bisschen reicht schon, um zum Verdacht zu gelangen, dass die dauerhafte Segregation der Schüler:innen nach ethnischer Herkunft einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention oder verfassungsfeindlich sein dürfte. Aber den Geist der Verfassung hat die AfD ohnehin nicht unbedingt geatmet, wie wir schon mehrfach gesehen haben.
Das waren jetzt sehr viele Worte zu nur zu sehr wenigen unsinnigen Zeilen einer unappetitlichen Rede, die einem in ihrer Gänze nur mit dem Kopf schütteln lässt. Der Rest der Ausführungen von Herrn Schultz ließe sich ebenso filetieren, doch erspare ich mir das an dieser Stelle.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein Mann spricht, dessen psychosoziales Gleichgewicht aus dem Lot geraten ist, der meint, das Level seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie seine Einschätzung von Selbstwirksamkeit dadurch steigern zu können, indem er andere Menschen herabwürdigt. Das ist eine nicht unübliche Bewältigungsstrategie bei einer seelischen Malaise in der Art, wie sie hier vorzuliegen scheint. Eine Alternative wäre, sich professionelle therapeutische Hilfe zu suchen. Schade, dass Herr Schultz diesen Pfad nicht beschritten hat.
1 Quelle: Videomitschnitt auf Youtube vom 04.08.2023, Rede bei Europawahlversammlung, Kanal: AfD TV, Minute 55:10