Das steht angesichts der Geschwindigkeit des Aufstiegs der AfD zu befürchten. Die Ursachen für die aktuellen Umfrage- und Wahlergebnisse sind vielfältig und liegen vor allem in den multiplen Krisen: Pandemie, Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, Inflation, Wohnungsnot. Hinzu tritt die von vielen als Krise empfundene Flüchtlingssituation. Mit Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre in Europa ist das Erstarken der extremen Rechten auch in Deutschland nichts, womit man nicht hätte rechnen können.
Die AfD hat etwas bewirkt, was der äußersten Rechten lange misslang: Lange war das rechtsextreme Spektrum zersplittert. Die AfD hat sich nun zu einer Sammlungsbewegung entwickelt.
Ihre Kampagnen in den sozialen Medien wirken wie Brandbeschleuniger. Schon Hannah Ahrendt schrieb vollkommen zu Recht:
"Lügen erscheinen dem Verstand häufig viel einleuchtender und anziehender als die Wahrheit, weil der Lügner den großen Vorteil hat, im Voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht."
Gleichzeitig hat sich die AfD durch eine doppelzüngige Strategie in ihrer Kommunikation nach außen eine Anschlussfähigkeit an das bewahrt, was wir „Mitte der Gesellschaft“ nennen. Immerhin scheint die Maske der AfD nun endlich für größere Teil der Öffentlichkeit gefallen. Die AfD kolportiert, sie vertrete die schweigende Mehrheit. Das Gegenteil ist richtig. Der eindeutige Großteil der Bevölkerung steht gegen die AfD.
Der absurde Vorwurf, die Einstufung mehrerer Landesverbände der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch sei rein politisch gesteuert, ignoriert einen wichtigen Faktor: Diese Einstufungen unterliegen der Überprüfung durch unabhängige Gerichte.
Ich hege keinen Zweifel daran, dass die AfD insgesamt rechtsextremistisch ist, möge es auch noch Leute mit Neigung zur AfD geben, die keinen Systemwechsel wollen oder die verfassungsfeindlichen Pläne der AfD ablehnen.
Die großflächigen Abschiebepläne der AfD verstoßen wie jedes rassistische Konzept gegen die erste Zeile des Grundgesetzes:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Das ist nicht schwer zu begreifen. Es lässt sich unterstellen, dass ein Teil der AfD-Wähler*innen das durchaus versteht, aber die AfD trotzdem oder gerade deswegen wählt. Was den Protestanteil unter den AfD-Wähler*innen angeht: Man muss schon die Augen fest zusammenkneifen, um die extremistische Ausrichtung der AfD nicht zu erkennen. Dieser Teil der geneigten Wähler*innen der AfD möge sich verdeutlichen, was die Umsetzung der Ideen der AfD konkret zur Folge hätte. Betroffen wären Ausländer*innen, genauso wie Deutsche, schlicht alle Menschen, denen durch die AfD eine mangelnde „Assimilation“ vorgehalten wird. Wie würde so ein Mangel gemessen werden? Muss ein Test gemacht werden und von wem? Oder soll der Teint gemessen werden? Oder geht es doch mehr um Herkunft und muss wieder ein Nachweis der Abstammung geführt werden?
Je nach Lesart und den in mehreren Büchern von AfD-Protagonist*innen dargelegten Konzepten beträfe dies einen großen Teil der Bevölkerung Deutschlands. Darüber hinaus müssen sich AfD-Wähler fragen: Wie sähe die “wohltemperierte Grausamkeit”, so Höcke im Wortlaut, zur Umsetzung großflächiger Abschiebungen ganz konkret aus?
1928 schrieb Goebbels in einer Zeitung:
“Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.”
2018 nahm der Geschichtslehrer Höcke darauf direkt Bezug:
„Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss, heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, nein, wir entscheiden in dieser Lage: Wolf zu sein.“
Es irren diejenigen, die meinen, Höcke sei nicht die Partei. Er ist der Landesvorsitzende der AfD in Thüringen und Vorsitzender der Landtagsfraktion der AfD. Er ist nicht nur die dominierende Person der AfD in Thüringen, sondern auch Spiritus Rector der gesamten AfD. Er wartet auf die Macht, möchte “alle Parteien vereinen” und den “Parteienstaat” abschaffen. Man darf ihn nicht nur Faschist nennen, er ist einer und strebt offenbar eine nah am Nationalsozialismus orientierte Gewaltherrschaft an.
Eine Verwirklichung der Pläne der AfD brächte für unser Land ein weiteres Mal nichts als Terror, Verderben und wirtschaftlichen Niedergang.
In Schleswig-Holstein gibt es in der Regierungskoalition wie auch andernorts eine große Sympathie für ein AfD-Verbot. Sofern es die Materialsammlung der Verfassungsschutzbehörden zur AfD hergibt, werden wir für die Prüfung eines Verbotsantrages eintreten. Die AfD ist für uns in Schleswig-Holstein keine nennenswerte politische Konkurrenz. Uns geht es um den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Zum besseren Verständnis: Für ein Parteiverbot reicht die Feststellung der AfD als eine extremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht aus. Sei eine Haltung noch so extremistisch, eine bloße Gesinnung kann nicht verboten werden. Das macht die freiheitliche demokratische Grundordnung gerade aus. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gedankenverbote und die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit reicht in den Grenzen des Strafrechts sehr weit.
Wer sich jedoch eine Strategie für eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder gar deren Beseitigung zurechtlegt und es aktiv unternimmt, diesen Plan konkret in die Realität umzusetzen, kann als Partei verboten werden. Das ist bei der AfD der Fall. Die Recherche der Medien zeigen genau das.
Die multiplen Krisen der jüngsten Zeit, die den Aufstieg der AfD ähnlich wie in den Jahren 1923 oder 1928 und den Folgejahren den Aufstieg der NSDAP begünstigt haben, sind der ausschlaggebende Faktor. Die Geschichte lehrt: Wir müssen frühzeitig gegensteuern.
Eine solche Situation wie heute hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor Augen und verankerten daher das Prinzip der wehrhaften Demokratie – das schärfste Schwert des Rechtsstaates – im Grundgesetz. Der Abgeordnete Carlo Schmidt sprach 1948 zu Beginn der Beratungen über das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat:
“Soll man sich auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat? [...] Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass Sie selbst die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft. Ja, ich möchte weiter gehen. Ich möchte sagen: Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt einer bloßen Zweckmäßigkeitsentscheidung, wo man den Mut hat, an sie als etwas für die Würde des Menschen Notwendiges zu glauben. Wenn man aber diesen Mut hat, dann muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.”
Das Prinzip der wehrhaften Demokratie löst allerdings das sog. “demokratische Dilemma” aus. Der Vorwurf, ein Parteiverbot sei undemokratisch, steht schnell im Raum. Dabei steht das Demokratieprinzip im Grundgesetz nicht allein oder oberhalb der anderen Prinzipien des Grundgesetzes. Das lässt sich schon daran erkennen, dass bei Schaffung des Grundgesetzes eine “Ewigkeitsgarantie” darin erlassen wurde, die bewirkt, das bestimmte Teile des Grundgesetzes eben nicht durch demokratische Entscheidung geändert werden können. Die Menschenwürde steht über allem und das Demokratieprinzip neben den Prinzipien der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit. Das sind die Wesenselemente unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die unverrückbar im Grundgesetz stehen.
Das Grundgesetz schützt Parteien in ihrer Chancengleichheit bei der politischen Willensbildung, nicht aber, wenn diese selbst die Beseitigung der für den demokratischen Wettbewerb konstitutiven freiheitlichen Grundordnung anstrebt oder den Bestand des Staates angreift.
Die Größe der AfD bliebe bei einem Verbotsverfahren rechtlich außer Betracht. Zu unbedeutend für ein Parteiverbot ist sie jedenfalls nicht – im Gegenteil.
Es gäbe zwar eine Alternative zu einem Verbot: Der Ausschluss der AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung birgt nicht die gravierenden Nachteile eines Parteiverbotes. Aber ob die Zeit noch ausreicht für ein entsprechendes Verfahren, eine weitere Zeit für das Abwarten des möglichen Erfolges einer solchen Maßnahme und bei dessen Ausbleiben ein Verbotsverfahren anzuschließen, lässt sich nur schwer einschätzen. Möglicherweise wäre mit einer Dauer von mehr als drei Jahren zu rechnen, wobei aber nicht auszuschließen ist, dass das Bundesverfassungsgericht ein derartiges Verfahren wegen der außerordentlichen Wichtigkeit und Dringlichkeit mit Beschleunigung betreibt.
Ein Verbot der AfD behebt die grundlegenden Probleme natürlich nicht. Ein Verbot verhinderte nur, dass die eindeutig falschen Leute gewählt werden und der Demokratie insgesamt beträchtlichen Schaden zufügen können.
Selbstverständlich wird man der AfD bis zu ihrem Verbot entschlossen politisch begegnen müssen. Es gilt, vorausschauende Reaktionen auf die aktuellen Krisen an Tag zu legen. Eine problemlösende Sachpolitik könnte ein entscheidendes präventives Mittel bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus sein.
Die Vorteile eines AfD-Verbots überwiegen nach reiflicher Überlegung die bestehenden Nachteile eines Verbotsverfahrens. Nur schnell wird es nicht gehen.
Die für einen Verbotsantrag nötige Materialsammlung muss auf jeden Fall vervollständigt werden, daran führt kein Weg vorbei, welche Abzweigung man danach auch nehmen möchte. Ausnahmslos alle müssen sich fragen, was richtig und falsch ist. Was richtig ist, darüber wollen wir streiten. Der andere Teil der Antwort lässt sich aus Kants kategorischem Imperativ ableiten: Falsch wäre es auf jeden Fall, gewänne am Ende die AfD.
Vergegenwärtigen wir uns Theodor W. Adorno:
“Es gibt kein richtiges Leben im Falschen!”