Eine unserer dringlichsten Aufgaben ist die Stärkung der Gewaltprävention. Im Bereich der häuslichen Gewalt besteht großer Handlungsbedarf. Im Jahr 2022 gab es in Schleswig-Holstein 5376 Opfer von Gewalt im häuslichen Kontext. Neun Opfer wurden getötet. Die allermeisten der Gewaltopfer sind Frauen, die Gewalt durch ihren Partner oder Expartner erfahren mussten. Auch neue Beziehungspartner*innen oder Kinder können gefährdet sein oder sogar auch einfach nur Freund*innen, die sich in dem Beziehungskonflikt auf die Seite des Opfers schlagen. Gewalt ist niemals Privatsache!
In meiner langjährigen Tätigkeit als Anwalt und Strafverteidiger wurde ich mit menschlichen Schicksalen und Taten konfrontiert, die mich zutiefst erschüttert haben. Einen tiefen Einblick in die sich häufig ähnelnden Abläufe bei Gewalttaten gegen Frauen habe ich durch die Vertretung der Nebenklage in Fällen von Morden an Frauen erhalten, darunter der Dreifachmord durch den “Killer-Zahnarzt”. Eine 43 Jahre alte Frau, ihr neuer 52-jähriger Partner und ein 53-jähriger Bekannter, der die Frau unterstützt hatte, wurden brutal erschossen. Alle hinterlassen Kinder und Familien.
„Bei der Vielzahl von Informationen, die zu dem Angeklagten aus der Nachbarschaft und dem sozialen Umfeld vorlagen, dazu noch die polizeibekannten Vorfälle, kann man nicht sagen, dass diese Taten aus heiterem Himmel geschahen. Im Gegenteil!“
Es stellt sich die Frage, was da schiefgelaufen ist. Und daraus resultierend: Was können wir besser machen? Welche Strukturen braucht es, um so viele Femizide wie möglich zu verhindern und den Opfern den bestmöglichen Schutz zu bieten?
Ein wichtiger Schritt ist die Einführung eines Hochrisikomanagements in Schleswig-Holstein, bei dem die Polizei mit den Akteur*innen des Hilfesystems zusammen agiert.
Eine Herausforderung im Bereich des Hochrisikomanagements besteht darin, dass personenbezogene Daten bisher nur im Einzelfall zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr übermittelt werden können. Dies erschwert eine effektive Zusammenarbeit zwischen der Polizei, Hilfs- und Opferschutzorganisationen sowie Beratungsstellen zum Schutz vor Gewalt. Unser Ziel muss sein, die Zusammenarbeit zwischen diesen Institutionen und Organisationen zu verbessern. Mit der Zustimmung der betroffenen Frau möchten wir erreichen, dass alle Beteiligten auf die gleichen Informationen zugreifen dürfen, um gemeinsam die beste Lösung für die Frau und gegebenenfalls weitere Personen zu finden.
„Unser Ziel ist es, Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt erheblich zu senken.“
Des Weiteren wollen wir ein beim Schleswig-Holsteinischen Sozialministerium angesiedeltes Kompetenzzentrum gegen geschlechtsspezifische Gewalt schaffen, welches das Wissen und die Kräfte von Expert*innen der Frauenhäuser, den Frauenberatungsstellen, der Jugendämter, der Landespolizei und der Familiengerichte bündelt.
“Täterarbeit ist Opferschutz!”
Dieser Themenbereich ist so vielschichtig, dass man an vielen Stellen ansetzen muss. Ganz wichtig ist aus meiner Sicht die Arbeit an den Täter*innen. In Schleswig-Holstein gibt es mehrere Anlaufstellen, die die Täterarbeit in den Fokus stellen. Zu ihnen kommen Menschen, die freiwillig an ihren Gewaltproblemen arbeiten wollen, oder Täter*innen, die bereits eine Straftat begangen haben. Diese Arbeit ist immens wichtig und für eine Stärkung dieser Anlaufstellen werde ich mich weiter einsetzen. Denn jede/r Täter*in, den wir von einer Gewalttat abhalten können, schützt das potenzielle Opfer. Entscheidend ist auch, dass wir bei der Gewaltprävention strukturelle Ursachen in den Fokus nehmen. In den allermeisten Fällen sind Täter*innen selbst einmal Opfer von Missbrauch oder Gewalt geworden.
Es gibt in Schleswig-Holstein zwei Modellprojekte zu einer mehr täterorientierten Polizeiarbeit in Schleswig-Holstein. Die Auswertung dieser Modellprojekte erwarten wir gespannt.
Aus meiner Sicht wird sich aber ohne eine Reform des Gewaltschutzgesetzes auf Bundesebene vieles nicht ausreichend ändern. Ich bin für eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes. Es muss insbesondere die Durchsetzung der Gewaltschutzverfügungen geändert werden. Die Vollstreckung der Gewaltschutzanordnung durch Verhängung von Ordnungsgeld und – sehr selten – Ordnungshaft dauert auf dem bisherigen Weg viel zu lange und ist nicht effektiv.
Ein verpflichtendes Täter*innentraining auch schon nach dem ersten Polizeieinsatz, Meldeauflagen während der Wegweisung, konsequente Sanktionen bei Verstößen gegen Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes, Aufenthaltsgebote, Unterlassungshaft oder elektronische Fußfessel bei wiederholtem Überschreiten des Kontakt- und Näherungsverbots sind geeignete Instrumente, deren Anwendbarkeit wir für Schleswig-Holstein neu regeln sollten. Dabei sollten wir auch einen Blick über den Tellerrand in andere Länder wagen, z. B. wagt Spanien einen Pakt gegen geschlechterspezifische Gewalt. Das Programm VioGén klingt sehr wirksam und vielversprechend.
Zusätzlich halte ich es für sinnvoll, für solche Gefährder*innen zu prüfen, ob ihnen eine Fahrerlaubnis oder eine Waffenerlaubnis zumindest zeitweise entzogen werden kann. Dies wird zum einen zusätzliche positive Anreize für die/den Gefährder*in schaffen, zum anderen können solche Maßnahmen die Handlungsfähigkeit zu Gefährdungen stark einschränken.