💡
Grundgesetz Artikel 21 Abs. 2: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Im Zusammenhang mit der Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" durch das Bundesamt für Verfassungsschutz am 02.05.2025 und der daran anschließenden Diskussion um ein mögliches Parteiverbotsverfahren ist häufig von "hohen Hürden" die Rede, die bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht zu überspringen sind. Was es damit auf sich hat, möchte ich Euch hier einmal zusammenfassend darstellen:
1. Ziel: Beeinträchtigen oder Beseitigen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
Wenn der Verfassungsschutz erkennt, dass eine Partei bestrebt ist, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, stuft sie diese als "gesichert extremistisch" ein.
Es ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt, dass dies nun bei der AfD geschehen ist. Zwar hat die Einstufung durch den Verfassungsschutz streng genommen nichts mit der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts zu tun, aber die Grundlage der Einstufung ist im Wesentlichen mit der Voraussetzung eines Parteiverbots gleich, nämlich dass die Partei die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder sogar beseitigen will.
Was bedeutet das? Will eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewirken, erfüllt sie die Voraussetzung des "Beeinträchtigens". Das muss sich aus dem Parteiprogramm und Beschlüssen der Partei und dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben, soweit ihr das zurechenbar ist (was bei Spitzenpersonal näher liegt).
Warum schon die 2021 erfolgte Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall berechtigt war, hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 13.05.2024 auf 113 Seiten mit sehr vielen Einzelheiten begründet. Es hat dort die verfassungsfeindlichen Ziele der AfD festgestellt. Das ist für alle ausführlich nachlesbar.
Es ist also keineswegs so, dass die AfD nicht wüsste, was ihr vorgeworfen wird.
Die AfD hat die gegen sie angeführten Äußerungen ihrer Anhänger in jenem Gerichtsverfahren überhaupt nicht in Abrede gestellt. Ihre Prozessaktik lässt sich vielmehr so zusammenfassen: „Mag sein, aber das sind alles Spinner, die nicht für die Gesamtpartei sprechen.“ Das Gericht hat sich dieser Argumentation nicht angeschlossen, vor allem wegen der Äußerungen des Spitzenpersonals der AfD.
Im von der AfD gegen die neue Einstufung als "gesichert rechtsextrem" angestrengten Gerichtsverfahren wird voraussichtlich dasselbe passieren, denn die AfD hat sich insgesamt weiter radikalisiert. Die AfD verteidigt sich öffentlich damit, der Verfassungsschutz sei politisch instrumentalisiert, unterschlägt dabei jedoch, dass die Sichtweise des Verfassungsschutzes bisher durch alle Gerichtsinstanzen bestätigt wurde - und die Justiz ist in der Bundesrepublik Deutschland unabhängig.
2. "Darauf ausgehen"
Die zweite Hürde ist, dass der Partei nachgewiesen sein muss, dass sie aktiv darauf ausgeht, ihre Ziele umzusetzen (also nicht nur davon redet).
Dafür muss ein planvolles und qualifiziertes Vorgehen erkennbar sein. Die Partei muss kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitichen demokratischen Grundordnung widersprechenden politischen Konzepts hinarbeiten. Das verfassungsfeindliche Agieren von Parteianhängern darf sich nicht nur in Einzelfällen zeigen, sondern muss einer Grundtendenz entsprechen, die der Partei in ihrer Gesamtheit zugerechnet werden kann.
Laut Bundesverfassungsgericht sprechen folgende Merkmale dafür, dass eine Partei "darauf ausgeht":
- Bundesweite Organisationsstruktur
- Bundesweite Durchführung eigener Veranstaltungen
- Werbung durch Öffentlichkeitsarbeit für ihre politischen Ziele
- Regelmäßige Teilnahme an Wahlen
- Teilnahme an der Parteifinanzierung durch den Staat
- Vernetzung mit nationalen und internationalen Strukturen des Rechtsradikalismus
Alle diese Merkmale erfüllt die AfD. Diese Hürde ist nun offensichtlich ebenfalls genommen.
Den anzulegenden Maßstab hat das Bundesverfassungsgericht erst jüngst im Urteil vom 23.01.2024 zur Partei Die Heimat bzw. der NPD nochmals dargestellt (Randnummer 286 ff):
Was "darauf ausgehen" bedeutet, wird unter der Randnummer 421 in jenem Urteil besonders deutlich.
"Die Antragsgegnerin ist schließlich auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichtet. Dies setzt voraus, dass sie über das bloße Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreitet (vgl. Rn. 286). Dass sie in geplanter und qualifizierter Weise zur Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unmittelbar ansetzt, wird durch ihre Organisation, Strategie und Aktivitäten sowie durch die Fähigkeit belegt, sich veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Die Antragsgegnerin hat in der Vergangenheit an der staatlichen Parteienfinanzierung teilgenommen (aa), verfügt über eine bundesweite Organisationsstruktur (bb) und führt bundesweit eigene Veranstaltungen durch (cc). Sie wirbt im Wege der Öffentlichkeitsarbeit für ihre politischen Ziele (dd) und tritt regelmäßig bei Wahlen an (ee). Sie ist bemüht, ihr strategisches Konzept (ff) auf unterschiedlichen Wegen umzusetzen (gg), und betreibt die Vernetzung mit nationalen und internationalen Strukturen des Rechtsradikalismus (hh)."
Noch mehr dazu im selben Urteil unter den Randnummern 296 ff.
"Ob eine Partei die Schwelle zum „Bekämpfen“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschritten hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Dabei können Finanz- (1) und Organisationsstrukturen (2) sowie Wahlbeteiligungen (3) erste Indizien für eine aggressiv-kämpferische Haltung der Partei gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sein. Besonderes Gewicht kommt daneben der Frage zu, ob die Partei über ein strategisches Konzept zur Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfügt (4) und dessen Umsetzung planvoll vorantreibt (5).
(1) Anders als die Antragsgegnerin meint, ist die Beteiligung einer Partei an derstaatlichen Finanzierung mit Blick auf das Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht deshalb bedeutungslos, weil es sich um eine begriffsnotwendige Voraussetzung für die Existenz einer politischen Partei im Sinne des § 2 Abs. 1 PartG handelt. Dem steht bereits entgegen, dass die Parteieigenschaft nicht entfällt, wenn eine Partei aus der staatlichen Finanzierung ausscheidet, weil sie die gemäß § 18 Abs. 4 PartG erforderlichen Stimmenquoren verfehlt hat. Hinzu kommt, dass die Beteiligung an der staatlichen Finanzierung ein ausreichendes Stimmenergebnis bei der Teilnahme an Wahlen voraussetzt. Ein solches ist nur erreichbar, wenn eine Partei über Strukturen verfügt, die ein planvolles Vorgehen zur Umsetzung der auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteten Ziele ermöglichen.
(2) Auch die Organisationsstruktur einer Partei kann Hinweise auf ein planvolles Vorgehen zur Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele liefern. Wird die Partei dadurch in die Lage versetzt, regelmäßig Veranstaltungen durchzuführen, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und neue Mitglieder zu gewinnen, spricht dies dafür, dass sie sich nicht auf das Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele beschränkt, sondern auch versucht, diese umzusetzen.
(3) Ein weiteres Indiz für ein planvolles, gegen die Verfassungsordnung gerichtetes Vorgehen einer Partei kann die Teilnahme an Wahlen auf Bundes- und Landesebene sein. Auch dieses Kriterium ist – anders als die Antragsgegnerin meint – nicht redundant und wird nicht durch die Definition des Begriffs der politischen Partei aufgefangen. Zwar verliert eine politische Partei nach § 2 Abs. 2 Satz 1 PartG ihren Status, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl teilgenommen hat. Davon ist aber der Umstand zu unterscheiden, dass regelmäßige, gegebenenfalls flächendeckende Wahlantritte das aktive Bemühen einer Partei um die Verwirklichung ihrer (verfassungsfeindlichen) Ziele belegen.
(4) Erhebliche Relevanz für das „Darauf Ausgerichtetsein“ im Sinne von Art. 21 Abs. 3 Satz 1 GG kommt der Frage zu, ob die Partei über ein strategisches Konzept verfügt, um mittel- oder langfristig ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu erreichen. Die Entwicklung einessolchen Konzeptsspricht dafür, dasssie in der Lage ist, Aktivitäten zu entfalten, die auf die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland zielen.
(5) Daran anknüpfend ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Partei konkrete Aktivitäten entfaltet, ihr strategisches Konzept zu verwirklichen. Insoweit bedarf es einer umfassenden und wertenden Gesamtbetrachtung der politischen Aktivitäten der Partei (vgl. für das Parteiverbot BVerfGE 144, 20 <225 Rn. 587>). Im Ergebnis müssen Tätigkeiten feststellbar sein, die gerade auf die Umsetzung des strategischen Konzepts beziehungsweise der von der Partei vertretenen verfassungsfeindlichen Ziele gerichtet sind. Die Zielsetzung der Partei muss sich also nachhaltig und qualifiziert in ihrem öffentlichen Auftreten und dem Verhalten ihrer Funktionäre, Mitglieder und Anhänger widerspiegeln (vgl. Müller, DVBl 2018, S. 1035 <1039>)."
Fehlinformationen durch öffentliche Stellen
Bedauerlicherweise wird immer wieder durch öffentliche Stellen (wie den ehemaligen Bundesjustizminister Buschmann oder den amtierenden sächsischen Innenminister Schuster) fehlerhaft dargestellt, es sei für ein Verbot Voraussetzung, dass eine Partei aktiv-kämpferisch und aggressiv auftrete, was bedeute, dass es zu Gewalt kommen und ein Umsturz nahe sein müsse.
Das ist schlicht falsch.
Das Bundesverfassungsgericht hat früher die Formulierung "aktiv-kämpferisch" und "aggressiv" verwendet, um klar zu machen, dass reine Gesinungen nicht verboten werden können. Der Staat kann keine Gesinnungsloyalität verlangen. Da diese Formulierungen teilweise missverstanden wurden, hat das Bundesverfassungsgericht diese Formulierungen nicht mehr gebraucht. Weder muss es zu Gewalt kommen noch muss ein Umsturz bevorstehen.
Bei der Schaffung des Grundgesetzes hatte der Parlamentarische Rat 1949 die formal legale und gewaltfreie Machtergreifung durch die NSDAP 1933 vor Augen.
Bisher war vor allem nicht ganz klar, ob es der Extremismus in der AfD so stark ist, dass man die Gesamtpartei als extremistisch bezeichnen muss oder ob es eben nur sehr viele Einzelfälle sind. Diese Frage hat das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt beantwortet und damit lassen sich die beiden hohen Hürden durchaus nehmen. Hält das Bundesverfassungsgericht an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dürfte die AfD verboten werden können.
Eines noch zum Schluss: Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts (also beide Senate gemeinsam) hat in einer Pressemitteilung vom 11.09.2024 zur gesetzlichen Neuregelung des Bundesverdassungsgerichts folgende bemerkenswerte Passage veröffentlicht, aus der sich herauslesen lässt, dass es eine aktuelle Bedrohung durch autokratische Bestrebungen in Deutschland sieht:
“75 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ist eine nähere verfassungsrechtliche Konturierung des Bundesverfassungsgerichts möglich und überzeugend. Eine solche liegt auch deshalb nahe, weil ein Blick über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus zeigt, dass sich autokratische Bestrebungen auch und gerade gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit als Garantin einer freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung richten können.”
Damit hat das Bundesverfassungsgericht verdammt recht!
Folgen eines Parteiverbots
- Verbot von Ersatzorganisationen
§ 46 Absatz 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz: "Mit der Feststellung ist die Auflösung der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, zu verbinden."
Ob eine Ersatzorganisation vorliegt, orientiert sich sowohl an den vertretenen politischen Inhalten als auch an deren Spitzenpersonal.
- Verlust aller politischen Mandate
- Ausschluss von der Parteienfinanzierung
- Einziehung des Parteivermögens