Klimaschutz gehört in die Verfassung
Ein besonders wichtiges Anliegen ist es mir, den Klimaschutz als Ziel allen staatlichen Handelns in die Schleswig-holsteinische Landesverfassung aufzunehmen.
Die Studienlage, der Bericht des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), manchmal auch der Blick aus dem Fenster zeigen es deutlich: Jede weitere Verzögerung von vorausschauenden Maßnahmen im Klimaschutz macht das Zeitfenster für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen immer kleiner. Das sieht auch unser Bundesverfassungsgericht so.
Im Klimaschutz-Beschluss aus dem Jahr 2021 machte das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass die Klimakrise uns alle in unserem Grundrecht auf Freiheit beeinträchtigt - denn durch unser Verhalten und unseren Verbrauch der zur Verfügung stehenden Ressourcen wird die Freiheit späterer Generationen massiv eingeschränkt. Unser nationaler Overshoot-day, der Tag, an dem wir alle für das Jahr 2023 in Deutschland zur Verfügung stehenden nachhaltigen Ressourcen verbraucht hatten, war bereits am 04. Mai.
Das Bundesverfassungsgericht sagt auch, dass das Argument “Das bringt doch alles nichts, die anderen machen ja auch nichts!”, schlicht nicht zählt - und spricht recht deutlich eine Aufforderung an die Gesetzgeber aus, das zu ändern.
“Viele Veränderungen im Klimasystem werden in unmittelbarem Zusammenhang mit der zunehmenden globalen Erwärmung größer. Dazu gehören die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen, marinen Hitzewellen und Starkniederschlägen sowie in einigen Regionen von landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren, eine Zunahme des Anteils heftiger tropischer Wirbelstürme sowie Rückgänge des arktischen Meereises, von Schneebedeckung und Permafrost.”
Quelle: Sechster IPCC-Sachstandsbericht
Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf das jetzige und zukünftige Leben gehören ins Zentrum der gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen. Die Veränderung des Klimas und deren Folgen betreffen nahezu jeden Bereich des Lebens: Von der Landwirtschaft, die sich an neue Gegebenheiten anpassen muss, über den Küstenschutz und seine Herausforderungen, der Verschlechterung der Biodiversität mit ihren Gefahren bis hin zu der Häufung von Extremwetterlagen. Wenig Mut machen auch die im Jahresgutachten 2023 des Sachverständigenrats Integration und Migration zu “Klimawandel und Migration” beschriebenen Szenarien für die Zukunft.
Auch wir in Schleswig-Holstein haben mit den Folgen der Erderwärmung zu kämpfen. Deswegen muss die Politik sich die Zielvorgabe setzen, alle zu treffenden Entscheidungen auch immer unter den Gesichtspunkten des Klimaschutzes, der Anpassung an bereits existierende Veränderungen und dem Abbau von Emissionen zu betrachten.
Hier sehe ich auch große Chancen für Schleswig-Holstein! Setzen wir unsere Vorgaben um, schonen wir nicht nur die Gesamtklimabilanz, sondern ermöglichen uns hier in Schleswig-Holstein bestmögliche Lebensbedingungen und die Stärkung unserer Wirtschaft.
Der Mensch ist maßgeblicher Verursacher dieser Klimakrise. Also steht die Menschheit in der Verantwortung, diese soweit noch möglich aufzuhalten und die Auswirkungen für uns selbst, aber auch für Natur und Umwelt, so gering wie möglich zu halten.
Ein wichtiger Schritt ist getan, wenn wir dieses auch als Ziel in Form einer Verfassungsänderung in Schleswig-Holstein festhalten.
Bedeutung der Klimaschutz-Entscheidung des BVerfG:
Erfreulich, dass aus der Justiz als dritten Staatsgewalt so etwas kommt. Beschämend ist eher, dass dazu die anderen Säulen nicht im Stande waren.
Grund hierfür ist: Die parlamentarischen Mehrheiten fehlen. Es ist noch nicht bei allen der Groschen gefallen, nicht in den Parteien und auch bei vielen Bürger*innen nicht.
Es wäre ein Trugschluss zu glauben, die Gerichte allein könnten das lösen! Der Gesetzgeber hat einen sehr großen Handlungsspielraum. Das Bundesverfassungsgericht kann immer nur feststellen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Den Weg weisen kann es nicht, es sei denn, es gibt nur noch einen einzigen.
Und die Gerichte der unteren Instanzen urteilen auch jetzt nicht automatisch in Richtung Klimaschutz. Verschiedene Gerichte haben betont, aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich nicht, dass der Klimaschutz in der planerischen Abwägung ein besonderes Gewicht habe .
Genau das ist es allerdings, was wir erreichen wollen: dass der Klimaschutz ein viel größeres Gewicht bei Planungsentscheidungen bekommt.
Einstimmiger Beschluss des Bundesverfassungsgerichts!
Das Grundgesetz sichert uns Grundrechte zu, u. a. dasjenige auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Artikel 2 Absatz 1 GG, die allerdings durch die gleichen Rechte anderer Menschen, die Gesetze und die freiheitlich-demokratische Grundordnung begrenzt wird.
“Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.”
Grundrechte sind für alle einklagbar und man kann darauf Verfassungsbeschwerden stützen.
Nötigung?
Viele Menschen beschweren sich über die Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit durch Aktionen der “Letzten Generation”. Der artikulierte Ärger ist nachvollziehbar, und tatsächlich liegt hier eine Einschränkung der persönlichen Freiheit vor, wenn auch nur in verhältnismäßig kleinem Maße.
Was nämlich diejenigen übersehen, die entweder mit Blick auf die “Letzte Generation” oder auf ein angebliches Ausufern von Klimaschutzmaßnahmen vermeintlich für die Freiheit kämpfen, sind die Konsequenzen unseres Handelns für die Zukunft:
Wenn wir so fortfahren wie bisher, wird die weit gravierendere Einschränkung der Freiheit später eintreten – und sie wird dann alle Menschen betreffen. Setzen wir unser aktuelles Verhalten fort, muten wir der künftigen Gesellschaft, den künftigen Generationen zu, komplett enthaltsam leben zu müssen! Entweder weil wir die gesteckten Klimaziele nicht anders einhalten können oder weil uns äußere Umstände schlicht dazu zwingen. Dadurch droht die zukünftige Freiheit der Bevölkerung extrem beschnitten zu werden.
Die Menschen können bei einer absehbaren Gefahr für ihre grundrechtlich garantierten Freiheitsrechte in der Zukunft schon jetzt eine Grundrechtsverletzung vor Gericht geltend machen. Dies ist der Fall, wenn durch den heutigen Treibhausgasausstoß schon in ein paar Jahren so wenig vom deutschen CO2-Budget übrig wäre, dass die Verpflichtung zu Klimaschutz dazu zwingen würde, sehr plötzlich fast keine Treibhausgase mehr auszustoßen – quasi eine "Vollbremsung“ in der Zukunft. Denn wenn plötzlich gar keine Treibhausgase – insbesondere CO2 – mehr ausgestoßen werden dürfen, ohne dass es Alternativen zu CO2-intensiven Tätigkeiten gibt, dürfte man auf einmal fast gar nichts mehr machen. Auto fahren, Heizen, Fliegen und Bauen, all das ginge so nicht mehr, damit die gesetzlich festgeschriebene Klimaneutralität noch erreicht werden könnte. Das käme einer Katastrophe gleich.
Zudem gibt es im Grundgesetz Art. 20a, der eine Schutzverpflichtung des Staates für die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere enthält. Die Staatszielbestimmung in Artikel 20a GG verpflichtet zur Klimaneutralität.
Dabei sagt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, dass der Gesetzgeber Klimaneutralität anstreben muss.
“Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.”
Der Art. 20a GG gilt für alle Bundesländer, auch für Schleswig-Holstein, ist aber kein Grundrecht, sondern ein sogenanntes Staatsziel. Man kann keine Verfassungsbeschwerde auf Staatsziele stützen - eigentlich. Die Staatszielbestimmung in Artikel 20a GG verpflichtet zur Klimaneutralität. Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu ausdrücklich, dass der Gesetzgeber Klimaneutralität anstreben muss.
Trick
Das Bundesverfassungsgericht hat hier einen gedanklichen Trick angewendet. Es sieht einen Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht durch einen Verstoß gegen Art. 20a, die Staatszielbestimmung zum Klimaschutz, indem es sagt, dass der Klimaschutz
“zwar keinen absoluten Vorrang genießt, aber in der verfassungsrechtlichen Abwägung mit entgegenstehenden Grundrechten bei fortschreitendem Klimawandel und Verstreichen der für die erforderliche Transformation verbleibenden Zeit immer noch stärker werde.”
Klagemöglichkeit
Verfassungsbeschwerden können ab jetzt auf das Freiheitsgrundrecht in Verbindung mit dem Klimaschutzstaatsziel gestützt werden. Das bedeutet, dass alle klagen und Verfassungsbeschwerde einlegen können, die Träger des Grundrechts sind. Das sind alle Menschen.
Folgen
Dem Bundesverfassungsschutzgesetz fehlten im damaligen Klimaschutzgesetz die Reduktionsmengen, die ab 2031 gelten. Die waren schlicht nicht enthalten.
Mit dem neuen Klimaschutzgesetz wird das Ziel der Klimaneutralität um fünf Jahre auf 2045 vorgezogen. Der Weg dahin wird mit verbindlichen Zielen für die 20er und 30er Jahre festgelegt. Das Zwischenziel für 2030 wird von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990 erhöht. Für 2040 gilt ein neues Zwischenziel von 88 Prozent Minderung.
Dasselbe findet sich seit 2021 im EWKG in Schleswig-Holstein, dem Energiewende- und Klimaschutzgesetz SH. Aus der Begründung dieses EWKG:
“Zweck dieses Gesetzes ist es, durch die Festlegung von Klimaschutzzielen sowie eines rechtlichen Rahmens für Energiewende-, Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen die Belange des Klimaschutzes zu konkretisieren, zu stärken und dafür notwendige Umsetzungsinstrumente zu schaffen. Grundlage hierfür sind die nationalen und europäischen Klimaschutzziele sowie die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist. Der Verzicht auf die Verwendung von Technologien auf Basis fossiler Energieträger und Kernenergie, die effizientere Verwendung von Energie und der Zubau von Energieerzeugungsanlagen und Energiespeichern auf Basis Erneuerbarer Energien liegen im Interesse des Landes Schleswig-Holstein.”
Das sind ganz konkrete Erfolge, die auf den Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zurückgehen.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Signalwirkung für andere Staaten, in denen ebenfalls Klimaschutzklagen laufen.
In einem Klimaschutzprogramm 2030 wird die Landesregierung zeigen, mit welchen Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene die Treibhausgasminderungs- und Erneuerbare-Energien-Ausbauziele 2030 in Schleswig-Holstein erreicht werden können. Erste Schritte sollen noch 2023 kommen: Maßnahmenfahrpläne der für die Emissionssektoren verantwortlichen Ministerien, in denen dargestellt werden soll, wie die aus dem Bundesklimaschutzgesetz resultierenden sektoralen Minderungsquoten erfüllt und möglichst übertroffen werden können.
Das bildet sich auch in unserem Koalitionsvertrag für die 20. Wahlperiode 2022-2027 ab:
“Ziel unserer Politik ist es, die Lebensgrundlagen, Freiheit, Sicherheit und den Wohlstand unserer und nachfolgender Generationen zu sichern. Das Pariser Klimaabkommen ist für uns dabei verbindliche Leitlinie. Die Koalition bekennt sich dazu, ihre politische Arbeit auf die Erreichung eines Pfads zur Klimaneutralität, der die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ermöglicht, auszurichten. Schleswig-Holstein soll das erste klimaneutrale Industrieland werden und dieses Ziel bis 2040 erreichen. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dieses Ziel werden wir im EWKG festhalten und eine Anschärfung der Klimaziele auf Bundesebene unterstützen.”
“Die Koalition wird den Klimaschutz in der Schleswig-Holsteinischen Verfassung verankern.”
Bedeutung der Verfassungsänderung in Schleswig-Holstein
Die angestrebte Änderung der Landesverfassung kann nur mit 2/3-Mehrheit erreicht werden. Über diese Mehrheit verfügt die schwarz-grüne Regierungskoalition jetzt. Wenn wir den Klimaschutz als Verfassungsziel festschreiben, sind spätere Änderungen auch nur mit 2/3-Mehrheit möglich. Das sichert die Klimaschutzregelung auch in anderen Landesgesetzen ab.
Die Aufnahme des Klimaschutzes in die Landesverfassung führt zu einer gesteigerten Bedeutung des Klimaschutzes für Entscheidungen der Rechtsprechung und Verwaltung - und damit für uns alle.