Der Entwurf für ein neues Verfassungsschutzgesetz in Schleswig-Holstein zielt darauf ab, den Verfassungsschutz zu modernisieren und rechtliche Klarheit für dessen Aufgaben und Befugnisse zu schaffen. Anlass für die umfassende Neufassung sind sowohl aktuelle sicherheitspolitische Entwicklungen als auch höchstrichterliche Rechtsprechungen.
Der Gesetzesentwurf definiert die Kernaufgaben des Verfassungsschutzes klarer, insbesondere bei der Beobachtung extremistischer Bestrebungen, sei es rechts-, links- oder islamistisch motiviert, sowie bei der Abwehr von Spionageaktivitäten und hybriden Bedrohungen. Dabei wird explizit auch der Schutz der Demokratie gegen nicht gewaltorientierte, aber dennoch demokratiegefährdende Aktivitäten (z.B. legalistisch agierende Organisationen) gestärkt.
Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln wie verdeckten Ermittlern, Observationen und Wohnraumüberwachungen wird strenger geregelt. Diese besonders eingriffsintensiven Mittel bedürfen künftig einer richterlichen Vorab- und Begleitkontrolle, wodurch Grundrechte stärker geschützt werden sollen. Ziel ist es, Eingriffe in die Privatsphäre auf das unbedingt Notwendige zu beschränken und den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung besonders zu gewährleisten.
Insgesamt soll das Gesetz einen ausgewogenen Ausgleich zwischen Sicherheitsinteressen und Bürgerrechten herstellen und Schleswig-Holstein einen rechtlich robusten und zukunftsfähigen Rahmen für den Schutz der Demokratie bieten.
Wozu brauchen wir einen Verfassungsschutz?
Wir brauchen den Verfassungsschutz, um die Öffentlichkeit, die Parlamente und die Regierungen vor politisch brenzligen Bewegungen in unserer Gesellschaft zu warnen.
Außerdem ist im Bereich der Terrorabwehr und Spionageabwehr eine professionelle Beobachtung im Vorfeld von Straftaten und Gefahren notwendig.
Sobald es zu Straftaten oder Gefahren kommt, wird die Polizei zuständig. Die Polizei darf erst bei einer konkreten Gefahr eingreifen, der Verfassungsschutz darf im Vorfeld schon früh beobachten, aber gar nicht eingreifen, sondern nur ab einer bestimmten Schwelle Informationen an die Polizei geben.
Die Verfassungsschutzbehörden sind in der Bundesrepublik Deutschland reine “Nachrichtendienste”, die eben nur beobachten, in Abgrenzung zu “Geheimdiensten” anderer Länder, die eben im Geheimen Operationen durchführen.
Warum sollen die Aufgaben des Verfassungsschutzes nicht von der Polizei erledigt werden?
Die Aufgaben der Polizei sind die Strafverfolgung, Prävention und die Gefahrenabwehr. Auch der Verfassungsschutz wirkt im Bereich der Prävention und im Vorfeld der Gefahrenabwehr.
Das sog. Legalitätsprinzip verpflichtet die Polizei zur Verfolgung aller beobachteten Straftaten.
Täte die Polizei dies einmal nicht, wäre das eine Straftat – Strafvereitelung im Amt. Diese Verpflichtung ist mit einer nachrichtendienstlichen Arbeit nicht vereinbar. Heimliche Maßnahmen müssten nach kurzer Zeit beendet werden, weil sie schon nach Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auch schon von geringem Gewicht “auffliegen” würden, die von der Polizei verfolgt werden müssen.
Wie viele Menschen arbeiten beim Verfassungsschutz in SH und bundesweit?
In Schleswig-Holstein arbeiten ca. 160 Leute beim Verfassungsschutz. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten insgesamt über 4500 Leute.
Sind das alles Spione? V-Personen?
Die Anzahl der Verdeckten Ermittlungspersonen (“Spione”) und Vertrauenspersonen (“VP”), die strenge genommen keine Angestellten oder Beamt*innen sind) ist nicht öffentlich bekannt.
Wer kontrolliert den Verfassungsschutz in SH momentan und wie?
Kontrolliert wird der Verfassungsschutz durch das Parlamentarische Kontrollgremium und die G10-Kommission. Um eine verbesserte Kontrolle zu erhalten, haben wir das Parlamentarische Kontrollgremium mit ständigen Mitarbeitern versehen. Zusätzlich wird es jedes Jahr einen Bericht des Kontrollgremiums über seine Tätigkeit geben, um mehr Transparenz zu schaffen.
Für einzelne Maßnahmen wird es nach der Gesetzesänderung einer Vorabkontrolle durch ein Gericht geben.
Wie viele Straftaten konnten durch den Verfassungsschutz verhindert werden?
Das lässt sich nur schwer sagen. Sobald es gefährlich wird oder um Straftaten geht, muss der Verfassungsschutz die Fälle an die Polizei abgeben, die dann die Straftaten verhindert, verfolgt, festnimmt. Der Verfassungsschutz selbst darf nichts außer beobachten und in bestimmten gesetzlich geregelten Fällen Informationen weitergeben oder die Öffentlichkeit informieren.
Wie groß ist die Gefahr, dass der Verfassungsschutz von Verfassungsfeinden durch das Anwerben von Vertrauenspersonen aus verfassungsfeindlichen Szenen unterwandert werden könnte?
Alle Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes werden sicherheitsüberprüft. Dass dies keinen vollständigen Schutz bieten kann, lässt sich z. B. daraus ablesen, dass ein pensionierter Referatsleiter für den Bereich Rechtsextremismus danach im Landtag für die AfD tätig war.
Eine “Unterwandung” durch Vertrauenspersonen kann nicht stattfinden, weil diese keine “echten” Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes sind, sondern nur deren Informationen abgeschöpft werden. Allerdings können einzelne Vertrauenspersonen das Bild des Verfassungsschutzes von einer bestimmten Bestrebung entscheidend prägen, wenn sie langjährig tätig sind und der Verfassungsschutz über keine anderen Quellen verfügt. Da gilt es für den Verfassungsschutz genau hinzuschauen.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Politik Einfluss auf die Arbeit des Verfassungsschutzes nimmt durch die Kontrollfunktion (im Hinblick auf die Stärkung der AfD)?
Der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein ist eine eigene Abteilung im Innenministerium, die natürlich der Hausspitze untersteht. Es waren in der Vergangenheit durchaus Unterschiede erkennbar, wenn die Hausspitze oder die Leitung des Verfassungsschutzes wechselt.
Als Instrument politischer Unterdrückung kann man den Verfassungsschutz wahrlich nicht wirklich bezeichnen. Gesellschaftliche Folgen seiner Tätigkeit sind kaum zu spüren. Im Gegenteil scheint die Warnfunktion durch die Verfassungsschutzberichte nicht zu ziehen, was sich an den Wahlerfolgen der AfD ablesen lässt.
Wenn die AfD Mitglied in einem parlamentarischen Kontrollgremium ist, wird sie versuchen, Informationen abzuziehen. Steuernden Einfluss auf die Arbeit des Verfassungsschutzes wird die AfD aber eher nicht oder wenig haben. Deutlich anders sieht es aber aus, sollte die AfD jemals an ein Innenministerium gelangt.
Wie entsteht der jährliche Verfassungsschutzbericht?
Die Praxis der Verfassungsschutzberichte im Bund und den Ländern ist verschieden, es gibt keine einheitliche Handhabung.
In Schleswig-Holstein stehen Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung darin, die der Verfassungsschutz als solche erkannt hat (quasi “gesichert extremistisch”) und wenn der Verfassungsschutz gleichzeitig etwas für berichtenswert hält.
Was bedeutet “Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung” für den Verfassungsschutz?
In dem Gesetzesentwurf ist die Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gesetzlich geändert worden. Diese Definition umfasst jetzt nur noch:
die Garantie der Menschenwürde, die insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit umfasst,
das Demokratieprinzip samt der Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung,
die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk,
das Rechtsstaatsprinzip samt der darin wurzelnden Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt,
die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte,
der Vorbehalt der Anwendung physischer Gewalt durch die gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organe.
Die Auflistung ist abschließend und entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nicht Teil des Grundgesetzes oder gar der fdGo-Definition ist z. B. eine Wirtschaftsordnung.
Was sind die großen Unterschiede nach der Reform?
Aus unserer Sicht sind am wichtigsten die gerichtliche Vorabkontrolle und die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle. Vor allem die personelle Stärkung durch einen Jurist*innenstelle ist ein echter Sprung nach vorne.
Politisch ebenfalls sehr wichtig: Die Neudefinition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Gut sind neue Befugnisse für die Beobachtung von Einzelpersonen und die Durchführung von Finanzermittlungen.
Warum wird die Aggressionsklausel nun abgeschafft?
Die Aggressionsklausel wird zwar entfernt, dennoch findet sich die zu Grunde liegende Überlegung im Gesetz.
Tritt eine Bestrebung friedlich auf, hat der Verfassungsschutz nur ein geringes Instrumentarium, vor allem das Sammeln vorhandener öffentlich zugänglicher Informationen.
Wenn eine Bestrebung ganz konkret aktiv-kämpferisch auftritt, ist sie nun “besonders beobachtungsbedürftig”, was dem Verfassungsschutz größere Möglichkeiten eröffnet, oder man wäre schon im Bereich der Polizei, die konkrete Gefahren abwehren und begangene Straftaten verfolgen muss. Solange die Gefahr nicht konkret ist, kann die Polizei nichts unternehmen.
Im Bereich dazwischen darf der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Maßnahmen anwenden, um rechtzeitig zu bemerken, wenn es in Richtung einer konkreten Gefahr geht – und dann die Polizei informieren, die dann übernimmt.
Der Verfassungsschutz beobachtet immer nur "Bestrebungen" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (und Spionagetätigkeiten). Bisher setzt in SH eine solche Bestrebung eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung" voraus. Mehr steht dazu bisher nicht im Gesetz.
Die grüne Haltung war bislang, dass wir die Aggressionsklausel erhalten wollen, hatten diesen Punkt aber in den Koalitionsverhandlungen verloren.
Man befindet sich in seinem Spannungsfeld zwischen Überwachungsstaat und "wehrloser Staat".
Ein Argument, das tatsächlich auch inhaltlich für die Abschaffung der Agressionsklausel spricht, ist deren Missverständlichkeit. Im Hinterkopf sollte man dabei immer die NSDAP zwischen 1925 und 1933 haben, die sich eben im Rahmen der Gesetze bewegte. Die Frage, ob die NSDAP in jener Zeit eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung hatte, würde ich persönlich zwar bejahen, aber darüber ließe sich wohl streiten. Und diesem Streit würde ich gerne aus dem Weg gehen, vor allem wenn ich an die AfD denke.
Denn wir können das leider auch in der Diskussion zum AfD-Verbot sehen. Immer wieder (z. B. von Leuten wie Marco Buschmann als Bundesjustizminister oder einigen Innenministern) wird behauptet, für ein Verbot müsse von der AfD Gewalt drohen. Das stimmt nicht und ist kein Stück haltbar, aber wird sich wohl weiter fortsetzen. Früher hatte das Bundesverfassungsgericht die Begriffe "aktiv kämpferisch, aggressiv" verwendet hat, um von bloßen Gedankenspielen abzugrenzen.
Nicht nur deswegen wollen wir stattdessen die "besonders beobachtungsbedürftige Bestrebung" einführen, bei denen der Verfassungsschutz eben nachrichtendienstliche (Überwachungs-)Mittel benutzen darf. In unserem Gesetzesentwurf steht vor diesem Hintergrund eine weit ausführlichere Formulierung:
Mittel mit besonderer Eingriffsintensität
§ 35 Besondere Voraussetzungen
1) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel mit besonderer Eingriffsintensität ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes der Zielperson auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf nachrichtendienstliche Mittel mit besonderer Eingriffsintensität nur zur Aufklärung von Tätigkeiten oder solcher Bestrebungen einsetzen, bei denen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die es möglich erscheinen lassen, dass die in §§ 8 bis 13 genannten Schutzgüter durch ziel- und zweckgerichtete Verhaltens- oder Wirkungsweisen der Bestrebungen konkret bedroht sind und das gegen diese Schutzgüter gerichtete Handeln erfolgreich sein kann (besonders beobachtungsbedürftige Bestrebungen). Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn die Bestrebungen
1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden angreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern und den öffentlichen Frieden stören,
2. Gewalt anwenden oder vorbereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen,
3. erhebliche gesellschaftliche Bedeutung besitzen, insbesondere unter Berücksichtigung der Anzahl der Beteiligten, deren Mobilisierungsfähigkeit, der Finanzkraft sowie der Aktionsfähigkeit,
4. in erheblichem Umfang gesellschaftlichen Einfluss ausüben oder in tauglicher Weise auszuüben suchen, insbesondere durch
a) Vertretung in Ämtern und Mandaten,
b) wirkungsbreite Publikationen, Bündnisse, Unterstützerstrukturen,
c) systematische Desinformationen in öffentlichen Prozessen politischer Willensbildung oder durch systematische Verächtlichmachung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, vor allem durch anhaltende Verunglimpfung ihrer Institutionen und Repräsentanten, oder
d) Herbeiführung einer Atmosphäre der Angst oder Bedrohung zur Förderung ihrer Zielverfolgung, oder
5. verdeckt vorgehen, insbesondere Ziele, Organisation, Beteiligte, Finanzierung, Zusammenarbeit oder Aktionen in wesentlichem Umfang verschleiern.
(3) Je beobachtungsbedürftiger eine Bestrebung hiernach ist, desto eingriffsintensiver dürfen die zu ihrer Aufklärung eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel sein. ...
Warum können auch Einzelpersonen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden?
In der jüngeren Vergangenheit haben leider zu häufig isolierte Einzeltäter schlimme Anschläge mit politischem Hintergrund begangen (Utøya, Christchurch, Halle, Hanau, München, Solingen etc.), manchmal auch nur mit sehr oberflächlicher Radikalisierung. Auch in diesen Fällen soll der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem agieren können, auch wenn die entsprechende Einzelperson kein Teil eines Personenzusammenschlusses ist und vielleicht nur wenig oder sogar keine sozialen Bezüge hat.
Ist eine gerichtliche Kontrolle des Verfassungsschutzes eingerichtet worden?
Ja, für eine Vielzahl von Maßnahmen des Verfassungsschutzes ist nun erstmals eine gerichtliche Kontrolle vor Durchführung der Maßnahme vorgesehen. Das war vorher nicht so und bewirkt eine bei weitem größere Kontrolle des Verfassungsschutzes. Dies wird voraussichtlich auch dazu führen, dass der Verfassungsschutz intern sehr viel besser prüfen wird, welche Maßnahmen angewandt werden sollen.
Wurde die parlamentarische Kontrolle sachlich und personell gestärkt?
Das Parlamentarische Kontrollgremium erhält zur verbesserten Ausübung seiner Kontrollfunktion eine Geschäftsstelle, deren Leitung einer Volljurist*in übertragen wird.
Wurden regelmäßige Berichtspflichten des Verfassungsschutzes eingerichtet?
Das Parlamentarische Kontrollgremium wird alle drei Monate zu Informationsübermittlungen durch den Verfassungsschutz in Zusammenhang mit Bewerbungen als Beamt*innen unterrichtet.
Wurde eine Pflicht für das Parlamentarische Kontrollgremium zu einer jährlichen Berichterstattung an den Landtag eingerichtet?
Das Parlamentarische Kontrollgremium wird einmal pro Jahr Parlament und Öffentlichkeit über den Umfang seiner Kontrolltätigkeit informieren. Auch diese Regelung wird voraussichtlich zu einer verbesserten Kontrolltätigkeit führen.
Wurden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt?
Wir haben die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit unserem Gesetz vollständig umgesetzt und sind sogar darüber hinausgegangen. In Bereichen wie der Übermittlung von Daten an andere Behörden, zu denen sich das Bundesverfassungsgericht noch nicht geäußert hat, haben wir eine ausgewogene und rechtsstaatliche Regelung gefunden.
Wie wurden die Überwachungen in Wohnungen ausgestaltet?
Die Überwachung eines Wohnraums ist nur in wenigen Ausnahmen zur Abwehr einer dringenden Gefahr und zur Eigensicherung der Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes zulässig. Bei der “dringenden Gefahr” handelt es sich um die höchstmögliche Gefahrenstufe. Es wurde ein Richter*innenvorbehalt eingerichtet. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wurde dabei berücksichtigt.
Wichtig ist, dass eine Weiterverarbeitung der durch eine Wohnraumüberwachung durch den Verfassungsschutz erhobenen Daten zum Zweck der Strafverfolgung nicht zulässig ist.
Wie wurde der Kernbereich privater Lebensführung geschützt?
Bei Berührung des Kernbereichs privater Lebensführung müssen nachrichtendienstliche Maßnahmen von vorneherein abgebrochen werden. Wenn absehbar ist, dass der private Kernbereich betroffen wird, haben nachrichtendienstliche Maßnahmen vor vorneherein zu unterbleiben.
Wie wird die Kontrolle bei den Vertrauenspersonen und verdeckten Mitarbeiter*innen erfolgen?
§ 38 regelt erstmals eigenständig (ähnlich wie im Bund) den Einsatz verdeckter Mitarbeiter im Verfassungsschutz und schafft damit mehr Rechtssicherheit, Transparenz und Klarheit. Es wird betont, dass solche Personen nicht zur aktiven Steuerung verfassungsfeindlicher Aktivitäten eingesetzt werden dürfen. Aus Fürsorgepflicht dürfen sie jedoch auch in strafbare Strukturen vordringen, da eine Bewertung oft erst im Nachhinein möglich ist. Die Vorschrift gilt auch für den digitalen Raum. § 38 Abs. 2 erlaubt das Betreten von Wohnräumen, sofern ein Einverständnis durch Täuschung vorliegt. Abs. 3 schützt den Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere bei intimen Beziehungen. Der Staat darf niemanden zu solchen Beziehungen im Dienste staatlicher Aufklärung anhalten. Abs. 4 legt Grenzen für Eingriffe in Individual- und Kollektivrechte fest. Abs. 6 verpflichten zur Vorabprüfung durch den verfassungsschutz-internen Datenschutzbeauftragten, zum Abbruch bei Kernbereichsverletzung und zur Löschung sensibler Informationen, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert.
Die neue Regelung in § 38 stärkt die Rechtsklarheit und Transparenz beim Einsatz verdeckter Mitarbeiter durch den Verfassungsschutz. Sie übernimmt zentrale Vorgaben aus dem Bundesrecht (§ 9a BVerfSchG) und verankert insbesondere das Verbot der steuernden Einflussnahme auf verfassungsfeindliche Bestrebungen. Die Vorschrift regelt den Schutz der Privatsphäre, speziell des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Zudem werden rechtliche Grenzen, Prüf- und Abbruchpflichten sowie der Umgang mit sensiblen Informationen konkret festgelegt, um Missbrauch zu verhindern und verfassungsrechtliche Anforderungen zu erfüllen.
§ 39 regelt erstmals umfassend den Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) durch den Verfassungsschutz und dient der Rechtssicherheit und Transparenz. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zentral, wobei die Vorschriften aus § 38 subsidiär gelten. VP dürfen nur bei persönlicher und charakterlicher Eignung eingesetzt werden und sind kontinuierlich zu kontrollieren (§ 39 Abs. 2). Bestimmte Personen – z. B. Unzuverlässige oder solche mit engen beruflichen Bindungen – sind von der Anwerbung ausgeschlossen (§ 39 Abs. 3), Ausnahmen bestehen bei strenger Kontrolle (§ 39 Abs. 4). Beziehungen zu Zielpersonen dürfen nicht gezielt hergestellt oder aufrechterhalten werden, da dies den Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzt (§ 39 Abs. 5). Eine bis zu sechsmonatige Anwerbungs- und Erprobungsphase dient dem Vertrauensaufbau und der Schulung ohne tiefgreifende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte (§ 39 Abs. 6). Der Einsatz bedarf hier nur einer behördlichen Anordnung auf Leitungsebene.
Die Begründung zu § 39 konkretisiert die rechtlichen Anforderungen an den Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) beim Verfassungsschutz. Absatz 1 betont den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und verweist auf die subsidiäre Geltung von § 38. Absatz 2 verpflichtet zur sorgfältigen Auswahl und kontinuierlichen Überprüfung der Eignung von VP hinsichtlich ihrer persönlichen und charakterlichen Voraussetzungen. Absatz 3 nennt Ausschlussgründe wie Unzuverlässigkeit, Abhängigkeit oder bestimmte berufliche Tätigkeiten und konkretisiert Ausstiegsprogramme sowie das Trennungsgebot. Absatz 4 erlaubt in Ausnahmen den Einsatz trotz bestehender Ausschlussgründe, sofern die Quelle engmaschig kontrolliert wird. Absatz 5 setzt Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um: Staatlich veranlasste Täuschungsbeziehungen zu Zielpersonen sind unzulässig, ebenso wie entsprechende Handlungen durch VP selbst. Tatsächliche Beziehungen unterliegen dem Kernbereichsschutz. Absatz 6 sieht eine bis zu sechsmonatige Anwerbungs- und Erprobungsphase vor, in der Schulung und Vertrauensbildung im Vordergrund stehen. Eine einfache behördliche Anordnung genügt in dieser Phase.
Gibt es klare Vorgaben zur Speicherung, Aufbewahrung, Weitergabe und Löschung von Daten und Informationen an die Betroffenen?
§ 66 regelt die Speicherungsdauer: normalerweise 5 Jahre, Verlängerung auf 10 Jahre bei erforderlichen Fällen.
In besonderen Fällen kann auch diese Frist verlängert werden. Für Extremisten, die nach langen Haftstrafen entlassen werden, kann die Frist ausnahmsweise um bis zu fünf Jahre verlängert werden.
Darf der Verfassungsschutz Minderjährige beobachten oder sogar anwerben?
Leider gibt es Entwicklungen, die zeigen, dass im Terrorismusbereich immer jüngere Personen instrumentalisiert werden. Die Planer von Terroranschlägen passen sich den gesetzlichen Bedingungen jeweils an. Deshalb erlauben wir eine Beobachtung Minderjähriger. Eine Anwerbung als Vertrauensperson ist hingegen verboten.
Die Befugnisse des Verfassungsschutzes zur Verarbeitung personenbezogener Daten Minderjähriger werden erweitert. Informationen über Jugendliche ab 14 Jahren dürfen regelmäßig verarbeitet werden, da auch diese zunehmend in extremistische oder gewaltbereite Aktivitäten involviert sind. In Ausnahmefällen ist dies sogar bei unter 14-Jährigen erlaubt – etwa bei islamistischer oder rechtsextremistischer Frühradikalisierung. Für diese besonders sensiblen Daten ist eine parlamentarische Kontrolle vorgesehen, und eine Speicherung darf nur in gesonderten Akten erfolgen.
Für Minderjährige gelten kürzere Speicherfristen als für Erwachsene, abgestuft nach Alter.
§ 71 enthält Schutzvorschriften zur Datenübermittlung: Grundsätzlich ist eine Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger verboten. Ausnahmen gelten bei konkreten Gefahren oder bei besonders schweren Straftaten – allerdings erst ab 14 Jahren, mit wenigen Ausnahmen.
§ 72 fasst Übermittlungsverbote zusammen, etwa zum Schutz der Privatsphäre oder bei Minderjährigen, und stellt klar, dass diese auch bei sicherheitsrelevanten Interessen gelten können.
§ 72 Nummer 6 stellt somit klar, dass personenbezogene Daten von Minderjährigen nur in den dort festgelegten Ausnahmefällen an andere Stellen übermittelt werden dürfen – insbesondere dann, wenn andere Rechtsgüter von besonders hohem Gewicht betroffen sind oder die Verfolgung schwerer Straftaten dies rechtfertigt.
Wann darf der Verfassungsschutz in Zusammenhang mit Stellenbewerbungen tätig werden?
Der Verfassungsschutz wird im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen tätig. Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz werden wir uns in Schleswig-Holstein als nächstes anschauen.
Der Verfassungsschutz wird auf Nachfrage auch andere Behörden warnen und gerichtsverwertbare Informationen übermitteln dürfen, wenn es um Bewerbungen für den Beamtenstatus oder die Zuverlässigkeit in kritischen Bereichen des Staates geht.