Die AfD ist eine durch und durch europafeindliche Partei. Als solche hat sie sich gegründet. Sie ist 2013 entstanden aus dem Milieu der Europa- und Euro-Skeptiker. Schon der Name „Alternative“ ist bewusst gewählt in Opposition zu Angela Merkels damaliger Aussage, der Eurorettungsschirm sei „alternativlos“.
An der Haltung der AfD hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Die Europafeindlichkeit der Partei zieht sich durch sämtliche Wahlprogramme. Im Programm zur Europawahl 2024 ist zu lesen, die EU sei „ein antidemokratisches und reformunfähiges Konstrukt“ (S.9), „als Projekt gescheitert“ und „höhle nationale Souveränitäten aus“ (S.6). Die AfD möchte das EU-Parlament abschaffen (S.11) und zurück zu nationalen Währungen, d.h. aus dem EURO austreten (S.19). Letztlich strebt sie eine Abschaffung der EU zugunsten eines neu zu gründenden „Bundes europäischer Nationen“ als lockere Interessengemeinschaft an (S.9).
Wie irrational die AfD gegen die EU agitiert, offenbarte der Nominierungsparteitag zur Europawahl in Magdeburg im August 2024, wo nicht wenige Delegierte den Austritt aus der EU wollten. In der EU streue „ein bösartiger Tumor“, hieß es dort. Petr Bystron, ein Politiker mit guten Verbindungen nach Russland, schwadronierte dort von „Gift“, das aus Brüssel komme und von den „Globalisten“, von denen still und heimlich Vorgaben gemacht würden. Zur Erklärung: „Globalisten“ ist eine bekannte antisemitische Umwegkommunikation. Antisemiten benutzen den Begriff, um das Wort „Juden“ zu vermeiden und ihren Judenfeindlichkeit zu verschleiern, da offener Antisemitismus nach der Erfahrung des Holocaust bei dem größten Teil der Menschen hoffnungslos diskreditiert ist. Herr Bystron hat es damit auf Platz zwei der Liste der AfD zur Europawahl geschafft.
Natürlich fällt es scheinbar einfach, über die EU zu lästern. Die gängigen, nicht gänzlich unzutreffenden Kritikpunkte und Klischees sind: Die Prozesse seien abstrakt, die unterschiedlichen Ebenen unübersichtlich, die Entscheidungen teilweise intransparent, die Bürokratie nervtötend. Es gibt sicherlich vieles, was sich verbessern lässt. Der Mensch ist nicht perfekt, und dementsprechend sind es seine Schöpfungen in den meisten Fällen auch nicht. Wir sollten uns jedoch nicht dazu verleiten lassen, eine Sache allein aufgrund vordergründiger Schwächen zu beurteilen, sondern immer das Ganze im Auge behalten – und schon zeigt sich ein vollkommen anderes Bild. Denn insgesamt ist EU ist eine großartige Errungenschaft!
Niemals zuvor war Europa auf dem Gebiet, das die EU umfasst, eine derartig lange Friedenszeit vergönnt. Kriege fanden in Europa nach 1945 nur noch außerhalb der EU statt, etwa in Jugoslawien oder aktuell in Form des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der uns umso mehr schockiert, da wir Frieden in Europa mittlerweile als Normalzustand empfanden. Dies ist auch ein Resultat des europäischen Einigungsprozesses. Wir haben die nationalen Egoismen abgeschüttelt und erkannt, dass wir im solidarischen Miteinander mehr erreichen können als im ewigen Gegeneinander.
Die EU ist auch wirtschaftlich eine Erfolgsstory. Der EU-Binnenmarkt ist der größte Wirtschaftsraum der Welt, und alle beteiligten Länder ziehen nutzen aus ihr. Dabei ist ein Fakt für uns in Deutschland besonders bedeutend, der schon oft betont wurde und an dieser Stelle noch einmal wiederholt sei: Die Exportnation Deutschland profitiert in besonders hohem Maße von der EU. Und zwar grundsätzlich jede und jeder von uns. Im Durchschnitt steigert der EU-Binnenmarkt das Einkommen jeder Bürgerin und jedes Bürgers in der EU um 846 Euro. Für Deutschland sind es sogar 1046 EUR! Es lässt einen nur mit dem Kopf schütteln, dass diese Tatsache von der AfD und anderen EU-Skeptikern in Deutschland ignoriert wird. Diejenigen, die ohne Unterlass polemisieren, Deutschland sei der „Zahlmeister“ der EU, unterschlagen geflissentlich, welch erheblichen Nutzen wir aus der Gemeinschaft ziehen.
Zudem gelangt vieles von dem, was Deutschland an die EU einzahlt, an uns zurück: als Subventionen für die Landwirtschaft, als Fördermittel für Umweltprojekte oder Infrastrukturmaßnahmen. Im Großen wie im Kleinen. Die Menschen nehmen oft nicht wahr, wie viel auch in ihrem direkten Umfeld durch die EU gefördert wird. Es kann sich dabei um das Ärztehaus oder den Markttreff in ländlichen Gemeinden handeln, wo der ortsansässige Arzt aufgehört und der Supermarkt geschlossen hat, oder um einen Kinderspielplatz. Die EU leistet einen Beitrag dazu, die konkreten Lebensverhältnisse der Menschen in den Mitgliedsländern zu verbessern – auch bei uns in Deutschland.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat zusammengestellt, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Austritt Deutschlands aus der EU hätte. So wären erhebliche Auswirkungen für den Warenverkehr zu erwarten – fatal für eine Exportnation. Auch der Dienstleistungssektor wäre stark betroffen und mit einem weit schwierigeren Marktzutritt konfrontiert. Eine Umfrage unter Ökonomen ergab, dass diese die Folgen eines Austritts aus der gemeinsamen Währung äußerst kritisch sehen. Eine „neue D-Mark“ würde eine erhebliche Aufwertung erfahren, mit erheblichen Nachteilen für den Export. Es bestünde die Gefahr, dass Unternehmen – und Arbeitsplätze – ins Ausland verlagert würden. Außerdem gilt eine große Wirtschaftszone mit ihrer kombinierten Wirtschaftskraft als besser dazu gewappnet, eine Wirtschaftskrise zu überwinden. Um nur einige Punkte zu nennen.
Natürlich ist es unsinnig, dass die EU unsere nationale Souveränität oder die der anderen Mitgliedsländer untergräbt, die Nationalstaaten zugunsten eines „EU-Superstaates“ aufgelöst werden sollen und „Brüssel“ einfach Vorgaben macht. Richtig ist, dass wir zugunsten einer übergeordneten Idee einzelne Herrschaftsrechte abgegeben haben. Aber die EU ist das Ergebnis von Verhandlungen mit unseren Partnern in Europa. Die Mitgliedsstaaten, d.h. auch wir Deutsche, erarbeiten die Verträge, Gesetzen und Regelungen. Unsere Politikerinnen und Politiker, unsere Beamtinnen und Beamten leisten ihren Beitrag bei der Gestaltung Europas. Deutschland spielt in der EU dabei sogar eine führende Rolle. Dass nicht alles immer in unserem Sinne ist oder ausschließlich zu unserem Vorteil gereicht, hat einen Grund: Wenn Demokraten miteinander verhandeln, steht am Ende zumeist ein Kompromiss. Dieses Wesensprinzip des demokratischen Prozesses ist der AfD ganz offensichtlich fremd.
Der Standpunkt der AfD des „Deutschland zuerst“, wie sie es auch im Wahlkampf plakatiert, erinnert an die Haltung großer Bevölkerungsteile in Deutschland während der Weimarer Republik und die Unfähigkeit der damaligen Parteien, sich über Parteigrenzen hinaus zu größeren Interessengemeinschaften und der Verfolgung gemeinsamer Ziele zusammenzuschließen. Dies wurzelte in der Kaiserzeit, dessen politisches System keine demokratische politische Kultur erforderte und über das Ende des Ersten Weltkrieges hinaus eine Auffassung konservierte, nach der eine Politik des Abweichens von den Partikularinteressen der eigenen Klientel und des Aushandelns eines Kompromisses ein „schmutziges Geschäft“ darstellte. Die Folge war die fortwährende Krise des Demokratie und schließlich ihr Ende.
Die demokratischen Parteien der Bundesrepublik haben ihre Lektion gelernt. Sie wissen, dass Demokratie ohne Kompromisse nicht funktionieren kann, weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene. Eine Erkenntnis, von der die AfD weit entfernt ist.
Die realitätswidrige Wahrnehmung der AfD, es sei das Ziel derjenigen, die in und für Europa arbeiten, die Nationalstaaten aufzulösen und einen künstlichen „Superstaat“ zu schaffen, ist genauso aus der Luft gegriffen wie die ohne Begründung und Beleg formulierte Behauptung, ausschließlich in Nationalstaaten könnten Volkssouveränität und Grundrechte der Bürger gelebt und bewahrt werden (S.10). Die AfD suggeriert, die EU sei etwas Widernatürliches. Kern ihres Programms ist ein ausgeprägter Nationalismus, der Nationalstaaten apodiktisch als natürliche Ordnung erklärt. Deshalb ist diese Partei nicht in der Lage, Zusammenschlüsse oberhalb von Nationalstaaten zu denken. Nationen und Nationalstaaten sind jedoch weder natürlich noch gottgegeben. Sie sind – ebenso wie das Konzept einer Europäischen Gemeinschaft – zunächst eine Idee, die in den Köpfen von Menschen geboren wurde, ehe sie Wirklichkeit entfaltete.
Abschließend sei noch ein Blick in das Grundgesetz geworfen. In seiner Präambel heißt es:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Weiter geht es mit Europa im Grundgesetz in Artikel 23. Auch hier ist ausdrücklich von der Mitwirkung der Bundesrepublik an einem „vereinten Europa“ und „der Entwicklung der Europäischen Union“ die Rede, wofür auch Hoheitsrechte übertragen werden können.
Es fällt schwer, zu den soeben zitierten Passagen einen größeren Widerspruch zu denken, als zum „Deutschland zuerst“ der AfD. An prominenter Stelle erklärt das Grundgesetz eine Politik internationaler Verständigung und Deutschlands Mitwirken an einem vereinten Europa in den Rang eines Verfassungsziels. Es ist bei weitem nicht die einzige Stelle, an der die AfD unsere Verfassung entweder nicht kennt, versteht oder ihr trotz aller Bekenntnisse dazu gleichgültig gegenübersteht.
Mit ihren europafeindlichen Positionen und Forderungen zieht die Partei konsequenterweise auch in die Bundestagswahl 2025.