Die AfD hängt einem Gesellschaftsbild an, das sich – wohlwollend formuliert – an den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts orientiert. Sie verklärt und rechtfertigt das mit dem Hinweis auf „Tradition“. Etwa, wenn sie sich zur „traditionellen Familie als Leitbild bekennt“ (Grundsatzprogramm der AfD, S.41).
Die Partei wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Tatsache, dass sämtliche Gesellschaften und damit auch unsere der stetigen Veränderung unterzogen sind. Das hat nichts damit zu tun, dass dies „ideologisch“ gewollt ist, wie die AfD andauernd behauptet. Sozialer Wandel hat immer stattgefunden und hört nie auf. Ansichten und Einstellungen unterlaufen in einer sich weiterentwickelnden Gesellschaft der stetigen Veränderung. Unsere offene und tolerante Verfassung lässt dies zu. Laut Artikel 2 Absatz 1 unseres Grundgesetz haben alle Menschen das Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Genau darum geht es, wenn in den letzten Jahrzehnten Gesetze erlassen oder angepasst und zusätzliche Familienkonzepte und Lebensentwürfe ermöglicht wurden.
Eine Familie kann aus „Vater, Mutter, Kindern“ bestehen. Das ist die am häufigsten auftretende Konstellation. Aus dieser will die AfD nun allerdings eine Ausschließlichkeit ableiten. Diese verknöcherte Ansicht haben die allermeisten von uns längst hinter sich gelassen. Viele Menschen in unserer Gesellschaft demonstrieren, dass intakte und glückliche Familien auch anders gelebt werden.
In ihrer „Magdeburger Erklärung“ aus 2016 richtet sich die AfD gegen die „Diskriminierung sexueller Minderheiten“. Angesichts der Forderungen, die in demselben Papier enthalten sind, mutiert die Phrase zum Witz. Dort lehnt Partei ausdrücklich die Ehe für Homosexuelle ab, was sie in der Folge auch in den Bundestag mittels eines Gesetzentwurf zur Aufhebung der Ehe für Alle einbrachte. Ebenso spricht sie sich in „Magdeburger Erklärung“ gegen ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare aus, auch mit Verweis auf eine mögliche Gefahr für die Entwicklung einer „normale[n] und stabile[n] Geschlechtsidentität“ der Kinder. Einmal abgesehen davon, dass die AfD nicht darüber zu entscheiden hat, was „normal“ ist und was nicht, ist die darin enthaltene Unterstellung absolut unsinnig, Homosexuelle könnten, nur weil sie Homosexuelle sind, als Eltern ein Risiko für das Kindeswohl darstellen. Die Forschung belegt: Kinder wachsen bei gleichgeschlechtlichen Paaren ebenso gut auf.
Die AfD warnt immer wieder unter Verwendung des Kampfbegriffs „Frühsexualisierung“ davor, Kinder würden in Schule und Kindergarten sexuell indoktriniert (Grundsatzprogramm der AfD, S.55). Sie suggeriert damit, dass allein die Aufklärung über unterschiedliche sexuelle Orientierungen Kinder zum Sex anreizen oder gar Homosexualität aufzwingen würde. Das ist ein reiner Abwehrkampf zur Verteidigung ihres Leitbildes der „traditionellen Familie“ und der Ehe zwischen Mann und Frau, die gemäß AfD als natürliche Ordnung über anderen Partnerschaften und Familienmodellen zu stehen habe. Wenn die AfD gegen „Frühsexualisierung“ agitiert, kämpft sie gegen Aufklärung, Selbstbestimmung und immer auch gegen Homosexuelle. Wer über sexuelle Vielfalt aufklärt, drängt nicht zu Sex, sondern redet über Familie und Partnerschaft und unterstützt dabei, eigene Entscheidungen treffen zu können und Grenzen kennen zu lernen.
Wie es in der Köpfen der AfD teilweise tickt, sei an Maximilian Krah, Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, beispielhaft verdeutlicht. Der äußerte in einem Gespräch mit dem rechtsextremen Vordenker Götz Kubitschek, dass nach der Ausrufung des „Pride Month“ durch die US-Botschaft in Kabul 2021, der Einmarsch der Taliban drei Wochen später die einzig richtige Reaktion gewesen sei. Noch einmal ganz langsam: Ein führender Politiker einer vorgeblich demokratischen Partei ist dermaßen vom Hass zerfressen auf alles, was anders ist als er selbst, dass er mit Blick auf queere Menschen und sexuelle Vielfalt Sympathie für ein Regime von Steinzeit-Islamisten bekundet, das für Mitglieder der LGBTQ-Community eine tödliche Bedrohung darstellt! Menschenverachtung pur.
Maximilian Krah und die AfD sind sicher nicht die Taliban, aber wie diese möchte die Partei hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft das Rad der Geschichte gern zurückdrehen – hier bei uns in Deutschland. Frauen sollen in erster Linie Kinder gebären und sich um Haushalt und Familie kümmern. Die AfD behauptet, es gäbe eine „Diskriminierung der Vollzeit-Mütter“ durch einen „falsch verstandenen Feminismus“. Ein „politische[s] Leitbild der voll erwerbstätigen Frau“ schätze nicht ausreichend diejenigen, die sich für ein Leben als „Mutter und Hausfrau“ entscheiden (Grundsatzprogramm der AfD, S.43). Wenn die AfD also in ihrem Programm hinsichtlich der Kindererziehung die „Bedürfnisse unserer Kinder nach individueller Betreuung“ und eine „verlässliche Bezugsperson“ im Auge hat, ist vollkommen klar, wer damit gemeint ist: die Mutter - wobei gleichzeitig noch unterstellt wird, unsere Einrichtungen zur frühkindlichen Bildung könnten nicht auch hervorragende Arbeit leisten. Dies ist aber dank unserer engagierten und kompetenten Erzieherinnen und Erzieher der Fall. Ein Leben als „Vater und Hausmann“ wird von der AfD in jedem Fall nicht thematisiert.
Es gibt nicht wenige Frauen, welche die AfD wählen oder bekunden, dieses tun zu wollen. Diese sollten noch einmal ernsthaft prüfen, ob sie sich in dem Frauenbild der AfD aufgehoben fühlen. Es hat in Deutschland schon einmal eine Partei mit ähnlichem Rollenverständnis der Frau gegeben. Als die Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren an der Macht waren, versuchten sie zunächst mit gezielter Politik durch Vergünstigungen für Familien auf der einen Seite, Behinderungen von Frauen wie Beförderungsstopp im öffentlichen Dienst oder Zugangsbeschränkungen zu Universitäten, Frauen zumindest aus Teilen des Erwerbslebens zu verdrängen. Sie wurden allerdings von der Realität und wirtschaftlichen Bedürfnissen eingeholt.
Denjenigen, denen Kinder beschieden sind, empfinden diese zumeist als höchstes Glück und das Beste, was ihnen im Leben widerfahren ist. Das muss allerdings nicht ausschließen, dass Eltern sich gleichzeitig in einem Erwerbsberuf verwirklichen. Unzählige Mütter und Väter beweisen das. Politik in einer modernen Gesellschaft muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, den Eltern ein Nebeneinander von Beruf und Familie zu ermöglichen. Es gibt nur einen ideologischen, keinen sachlichen Grund dafür, Frauen vom Erwerbsleben fernzuhalten. Nur dass dies bei Oma und Uroma gängige Praxis war, ist kein hinreichendes Argument.
Durch Kinder reproduziert sich eine Gesellschaft. Kinder bedeuten für eine Gesellschaft Zukunft. Die AfD differenziert hierbei sehr wohl. Mit Blick auf den unerträglichen Rassismus, den die AfD in ihren Programmen und in unzähligen Äußerungen ihrer Vertreter*innen zur Schau stellt, ist dies wenig überraschend. Natürlich sollen nur die „richtigen“ Frauen in Deutschland Kinder in die Welt setzen. Das sind diejenigen ohne Migrationsgeschichte. Kinder, die in Deutschland von Frauen mit biografischen Wurzeln außerhalb Deutschlands, vielleicht sogar in einem muslimischen Land, geboren werden, sieht die AfD kritisch oder als Gefahr (Programm für Deutschland, S. 42). Purer Rassismus.
Die AfD will mit steuer- und familienpolitischen Instrumenten dafür sorgen, dass die Geburtenrate der „richtigen“ Kinder steigt und den demografischen Herausforderungen und dem Fachkräftemangel hiermit begegnen. Einmal ganz davon abgesehen, dass jedes Kind, über dessen Geburt wir uns heute freuen, keine Hilfe bei der Bewältigung des aktuellen Fachkräftemangel darstellt und dies weder morgen, übermorgen noch in fünf oder fünfzehn Jahren tun wird, ignoriert die Partei den global zu beobachtenden Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsstand eines Landes und der Geburtenrate. Faktoren wie bessere medizinische Versorgung, geringere Kindersterblichkeit und steigende Bildung lassen die Fertilität sinken. In jedem Land der Welt. Will die AfD den Entwicklungsstand Deutschlands auf ein niedrigeres Niveau senken? Die AfD kann das Mutterkreuz in Gold wiedereinführen: Sie wird in einem Land auf dem Entwicklungsstand Deutschlands keine wesentliche Steigerung der Geburtenrate erreichen. Auch die Nationalsozialisten haben mit ihrer Politik den Trend zur Kleinfamilie übrigens nicht aufgehalten.
Im Zusammenhang mit den gesellschaftspolitischen Vorstellungen der AfD ist natürlich auch noch auf ihren Feldzug gegen das „Gender-Mainstreaming“ einzugehen, das sie als „Ideologie gegen traditionelle Lebensformen“ verunglimpft (Grundsatzprogramm der AfD, S. 55), ohne zu erklären, was sich tatsächlich hinter dem Begriff verbirgt. Die Partei weiß, dass allein das Wort „Gender“ bei vielen Menschen zu Abwehrreaktionen führt. „Gender-Mainstreaming“ ist allerdings keine Ideologie, die einen bestimmten Lebensstil aufzwingen will, schon gar nicht im eigenen Wohnzimmer. Es handelt sich hierbei um die Strategie, mit der auf allen gesellschaftlichen Ebenen präventiv die Gleichstellung der Geschlechter gewährleistet werden soll. Gleichstellung bedeutet aber nicht, dass irgendjemand bevorzugt wird! Es ist wichtig, zu verstehen, worauf es hinausläuft, wenn Diskriminierungen abgebaut werden, gleichgültig, ob es um Frauen, Mitglieder der LGBTQ-Community, Menschen mit anderer Hautfarbe oder andere Minderheiten geht:
Gleiche Rechte für alle bedeutet nicht weniger Rechte für jede Einzelperson!